Es sind noch knapp sieben Stunden bis zur Preview der Musicalproduktion „Die Königinnen“ am Linzer Musiktheater. Noch weiß Arne Beeker nicht, dass das Publikum Standing Ovations geben wird, die Kritiken Lobeshymnen schreiben werden und sich die drei Jahre Arbeit definitiv gelohnt haben werden. „Natürlich sehen wir in den Proben, dass wir auf einem tollen Weg sind. Aber es ist schon sehr spannend, wie das Publikum dann bei der Preview reagiert – das Publikum ist ein Wesen, das man eigentlich nie verstehen wird. Also müssen wir erst mal gucken“, sagt er bescheiden. „Die Königinnen“ ist ein Musicalthriller über Maria Stuart und Elisabeth I. Eine Uraufführung am Linzer Musiktheater. „Bei dramatischen Stoffen ist es nicht ganz so unvorhersehbar wie bei Komödien. Bei Komödien weiß man nie, ob die Leute nun bei den Witzen lachen, die du seit sechs Wochen hörst und die du inzwischen nicht mehr witzig findest.“
Fast immer lachen sie. Vor allem aber klatschen sie – seit Eröffnung des Musiktheaters Linz und daher mehr als ein Jahrzehnt besetzt Arne Beeker die Position des Dramaturgen und Produktionsleiters für die neu gegründete Musicalsparte des Landestheaters Linz. Dabei sollte eigentlich alles ganz anders kommen. Beeker studierte Mathematik und Physik in Münster und promovierte in Theoretischer Physik mit einem Thema aus der Chaostheorie. Während er als Lehrer an einem Kölner Gymnasium unterrichtete, begann er mit der Übersetzung von Musicals.
Muss man denn Mathematik und Physik studieren, um Dramaturg zu werden?
Arne Beeker: (lacht) Das sind doch super Voraussetzungen. Jedenfalls bin ich wohl der einzige Dramaturg, der ordentlich mit Excel umgehen kann. Das nützt mir fast jeden Tag etwas.
Und deine Arbeit als Lehrer an einem Kölner Gymnasium, nützt dir die auch am Theater?
Arne Beeker: Definitiv. Gerade wenn man wie hier ein fixes Ensemble hat, was ja im Musical sehr selten ist, kann man natürlich vieles von den Sachen, die man als Klassenlehrer mal gelernt hat, gebrauchen. Das sind zwar erwachsene Menschen, aber trotzdem ist ein Ensemble natürlich auch eine soziale Gruppe, die ähnlich funktioniert wie eine Klasse. Insofern habe ich da schon einiges mitnehmen können. Man kann eigentlich von allem etwas mitnehmen.
Wann hast du gemerkt, dass es doch nicht so sehr die Zahlen, sondern die Worte, das Theater, die Musik sind, womit du Karriere machen möchtest?
Arne Beeker: Sehr spät. Ich war mit 21 Jahren das erste Mal überhaupt im Theater. Meine Eltern hatten keinen Bezug dazu, ich komme aus einer kleinen Stadt. Zum Studieren bin ich dann nach Münster und ab und zu ins Theater gegangen. Das hat mich dann irgendwie gepackt.
Und gab es dann diesen einen klaren Moment, in dem du wusstest, du änderst deinen Weg?
Arne Beeker: Ja, ehrlich gesagt war das ein ganz klarer Weg. Matthias Davids (Anmerkung der Redaktion: ebenfalls seit 2012 am Landestheater Linz – als Künstlerischer Leiter der Sparte Musical) und ich sind seit Langem ein Paar und wir waren beide in Köln, er war als freier Regisseur unterwegs. Ich hatte schon relativ viele Übersetzungen für Musicals gemacht – parallel zum Job. Und dann bekam er das Angebot aus Linz. Natürlich war da die Frage, ob wir das wirklich wollen. Und schließlich habe ich ein bisschen übermütig gesagt: Dramaturg:innen, die auf Musicals spezialisiert sind, gibt es sowieso nicht, das heißt, die ganzen Operndramaturg:innen haben eigentlich genauso wenig Ahnung davon wie ich. Also kann ich es eigentlich auch probieren. So habe ich mich einfach beworben. Und wurde tatsächlich ausgewählt. Obwohl der erste Blick in meinen Lebenslauf natürlich für etwas Verzweiflung gesorgt hat.
Das ist nun elf Jahre her. Das Musiktheater in Linz wurde damals neu eröffnet – war dir von Anfang an klar, dass es gut gehen würde?
Arne Beeker: Das Musiktheater, dieses Riesenschiff in der doch relativ kleinen Stadt, wo auf einmal tausend Plätze mehr pro Tag gefüllt werden müssen, wie soll denn das überhaupt möglich sein? Die Unkenrufe waren damals ja laut – das würde ein Jahr gut gehen und dann würde das Theater leer stehen. Aber die Idee, nicht eine Erweiterung der alten Sparten zu machen, sondern eine Erweiterung durch eine neue Sparte, nämlich die Musicalsparte, war, glaube ich, sehr weitsichtig und eine tolle Idee. Und seitdem machen wir halt vier bis fünf Musicalproduktionen pro Jahr. Mit der Expertise von Matthias und unserem ständigen Schauen in die Welt, was eigentlich so an Musicals da ist, kriegen wir immer eine ganz gute Mischung hin. Die Idee war tatsächlich immer, dass wir nicht nur die sicheren Renner machen und das, was jedes Theater macht, sondern dass wir die ganze Breite des Spektrums, was im Musical möglich ist, zeigen. Damit sind wir ganz gut gefahren.
Muss ein Musical nicht nur unterhalten, sondern auch zum Nachdenken anregen?
Arne Beeker: Es gibt natürlich Stoffe, die wirklich reine Unterhaltung sind und die unheimlich gut sind. Ich würde zum Beispiel „Tootsie“ in diese Kategorie setzen, oder auch „School of Rock“. Wobei es auch dabei Botschaften gibt, die zum Nachdenken anregen können – natürlich nie mit dem Holzhammer. Wir haben Stücke wie „Natascha und Pierre“ gemacht, die sind wirklich Avantgardestücke, aber wir haben eben auch Stücke wie „School of Rock“ produziert, die sehr volksnah sind. Dafür muss man sich überhaupt nicht schämen, denn wir führen damit auch eine Generation ans Theater heran, die vielleicht ansonsten eher doch bei TikTok und Co. hängenbleiben würde.
Was hält dich in Linz?
Arne Beeker: Vor allen Dingen natürlich die Möglichkeit, hier diese Art von Theater zu machen. Denn die gibt es im gesamten deutschsprachigen Raum in der Art, wie wir das machen, überhaupt nicht. Natürlich könnte man meinen: Ach, wär das schön, bei den Vereinigten Bühnen Wien zu sein. Aber wenn man dann bedenkt, dass man ein, zwei Stücke pro Jahr macht, die dann 300-mal gespielt werden müssen, und jedes Mal muss das Theater voll sein, dann ist das irgendwie nicht interessant. Da fallen gleich mal 1.000 Stücke raus, die man gerne machen möchte, die aber für diesen Zweck nicht geeignet sind. Im Musicalbereich gibt es nichts wie hier in Linz. Und dann fühle ich mich auch wohl hier. Linz ist eine Industriestadt, die den Sprung zur Kulturstadt geschafft hat. Ich komme aus dem Ruhrgebiet, das ist dort ähnlich. Und ich mag die Menschen hier, ich mag die ganze Stadt. In der Coronakrise habe ich dann sogar zu wandern begonnen, das hab ich davor nie gemacht – auch etwas Schönes, das mir Linz beigebracht hat.
Worauf achtest du, wenn ihr Künstler:innen für euer Ensemble auswählt?
Arne Beeker: Es ist natürlich ein Unterschied, ob das jemand für eine Gastposition oder für das fixe Ensemble ist. Das sind mittlerweile zwölf Personen. Wir haben gemerkt, dass sich diese Größe eines fixen Ensembles durchaus auszahlt – sowohl künstlerisch als auch monetär. Für dieses fixe Ensemble ist es unheimlich wichtig, dass die Leute sowohl singen, spielen als auch tanzen können. Und das möglichst in mehreren Sparten. Sie müssen sowohl das klassische Musical als auch Popmusicals beherrschen. Wir kennen so viele Musicaldarsteller:innen, haben Tausende gecastet – so viele bleiben dann gar nicht übrig, die man haben möchte. Und dann sollen sie natürlich auch noch ensemblefähig sein, weil es extrem anstrengend sein kann, wenn es da Konflikte im Ensemble gibt. Ich glaube, dafür haben wir mittlerweile einen Blick._