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Must read: Wie setzt man sich die berühmte „Kundenbrille“ auf?

Must read: Wie setzt man sich die berühmte „Kundenbrille“ auf?

Etui auf, Brille rausholen und aufsetzen, fertig. Was so einfach klingt, ist für viele Unternehmen im übertragenen Sinne eine große Herausforderung. Nämlich dann, wenn es darum geht, sich die berühmte „Kundenbrille“ aufzusetzen. Thilo Baum schafft daher mit seinem neuen Buch einen Ratgeber, um sich besser in Kund:innen hineinzuversetzen und mit den richtigen Denkmustern Erfolg zu haben.

Als Kommunikationsexperte fordern Sie eine einfachere und verständlichere Sprache. Wo ist dringend mal mehr Klartext nötig?

Thilo Baum: Bei sehr vielen Unternehmen und im nahezu kompletten öffentlichen Dienst. Alles, was wir sagen wollen, lässt sich auch einfach sagen. Auch, dass juristische Inhalte einer komplizierten Sprache bedürfen, ist ein Irrtum. Der Punkt ist eher der: Menschen in Unternehmen formulieren lieber übertrieben präzise und führen auch irrelevante Eventualitäten aus, um keine Fehler zu machen. Dabei ist das gar nicht nötig. Wenn wir gesagt haben, was wir sagen wollen, ist jeder Text ausreichend lang.

Laut Marktforschungsinstitut IMAS ist der Trend zur Kundenorientierung in Österreich sogar rückläufig. Inwiefern passt das mit den vielen ausdrücklich kundenfreundlichen Unternehmensphilosophien zusammen?

Thilo Baum: Tatsächlich wollen Unternehmen gemäß ihren Leitbildern freundlich und menschlich sein. Ich kenne kein Unternehmen, das gerne bürokratisch und umständlich wäre. Und trotzdem formulieren Unternehmen in ihrer Kundenkommunikation oft wie Behörden. Das steht dann im Widerspruch zu der Sprache in der Werbung und im Marketing, die meistens sehr locker ist. Kund:innen empfinden da ein Delta und erkennen: Das Leitbild entspricht nicht der Realität.

Fällt Ihnen hierfür ein konkretes Beispiel ein?

Thilo Baum: Kundenorientierung bedeutet nicht nur eine kundenorientierte Sprache, sondern auch kundenorientierte Prozesse. Ich hatte kürzlich eine wahre Reklamationsarie wegen eines defekten Bürostuhls. Ich schrieb eine E-Mail an die Zentrale des Möbelhauses, weil wir inzwischen umgezogen waren. Doch in der Zentrale gab es offenbar keinen Prozess, der so eine Reklamation auffängt. Was ich erlebt habe, war das komplette Chaos aus Ignoranz und ein Hin und Her der Zuständigkeiten. Dieses Möbelhaus ist laut Werbung super hilfsbereit, aber in der Realität zeigt es komplettes Versagen und kommunikative Hilflosigkeit.

Wo entsteht die Kluft zwischen Unternehmen und Kund:innen und wie überbrückt man diese am besten?

Thilo Baum: Je länger wir in einem Unternehmen arbeiten, desto betriebsblinder werden wir. Wir nehmen die Sprache des Unternehmens an und halten sogar die absurdesten Abläufe mit der Zeit für normal. Wie Externe denken, vergessen wir irgendwann. Das Phänomen ist also eine Form der selektiven Wahrnehmung: Wir reduzieren die Welt gedanklich auf unser Fach. Zugleich halten wir unser Wissen selbstverständlich für normal und setzen es – und das ist der Fehler – bei anderen voraus. Unternehmen sollten konsequent für einen externen Blick sorgen und lieber vom Unwissen der Leute ausgehen.

Welchen großen Marketing-Irrtümern begegnen Sie immer wieder aufs Neue?

Thilo Baum: Hui, da gibt es viele. In Zeiten des E-Mail-Marketings ist ein besonders großer Irrtum in meinen Augen, zu glauben, die Leute würden sich für uns und unser Unternehmen interessieren. Das tun sie vielleicht, wenn wir Louis Vuitton heißen oder Porsche. Aber sonst? Zahlreiche Unternehmen versenden E-Mails und glauben, die Leute seien interessiert. Zum Beispiel diese unsäglichen Umfragen, die dann viel umfangreicher werden als gedacht, wenn man sie mal angeklickt hat. Wer tut sich so etwas an? Nur wer zu viel Zeit hat. Und wenn nur Leute antworten, die nichts zu tun haben, ist die Umfrage nicht mehr aussagekräftig für ein professionelles Business-Publikum.

In vielen Branchen wächst nicht nur die Konkurrenz, sondern auch die Erwartungshaltung. Wie setzt man sich daher die berühmte „Kundenbrille“ am besten auf?

Thilo Baum: Da will ich erst mal mit einer Legende aufräumen, wenn ich darf. Üblicherweise heißt es in der Kundenorientierung: Wir müssen unsere Kund:innen mehr überraschen! Das halte ich mit Verlaub für Quatsch. Mir bringt eine Überraschung im Hotelzimmer nichts, wenn die Zimmerkarte nicht funktioniert und ich mitsamt Gepäck noch mal runter darf zur Rezeption. Mir bringt auch die Geburtstagskarte vom Autohaus nichts, wenn der Ölmessstab schwarz ist und ich den Ölstand nicht ablesen kann – der Elektronik ist ja oft nicht zu trauen. Bei der Kundenorientierung geht es nicht um nette Nice-to-haves. Die meisten Unternehmen scheitern an den Must-haves. Service wäre ein funktionierendes Schlüsselkartensystem oder den Ölmessstab gratis silberfarben zu lackieren. Das geht.

Welche Rolle spielen dabei Denkmuster und eine gewisse Haltung?

Thilo Baum: Mein Wunsch wäre, dass Unternehmen sowohl in ihrer Unternehmenskultur als auch in der Haltung der Mitarbeitenden aus der Kundensicht aufs Geschehen blicken würden. Nehmen wir die Prozesse: Wenn Unternehmen diese aufsetzen, gehen sie meistens von sich aus. Sie denken zum Beispiel, die Leute würden jeden Newsletter öffnen, und so könnte man sich in einem Newsletter auf den anderen beziehen. Aus Kundensicht aber füllen zahlreiche Newsletter den Posteingang – und oft steht in der Absenderzeile nicht mal der Firmenname. Wie soll so etwas funktionieren? Das Wichtigste ist vermutlich: Unternehmen sollten akzeptieren, dass sie nicht der Nabel der Welt sind – und dass Kund:innen keine Gedanken lesen können.

Wie denken Unternehmen kundenorientierter? 3 Tipps des Profis.

#1 Prozesse von außen betrachten

Aus der internen Unternehmenssicht sind die Schritte der meisten Prozesse plausibel. Doch wurden diese Schritte ach aus der externen Sicht geprüft? Jedes Detail muss für Externe sinnvoll sein. Das betrifft zum Beispiel die Nutzerführung auf digitalen Oberflächen und auch den Ablauf im Reklamationsmanagement.

#2 Die Unternehmenskommunikation überdenken

Viele Unternehmensbotschaften sind aus Unternehmenssicht relevant – nicht aber von außen betrachtet. Nachrichten an Medien sollten tatsächlich für die Öffentlichkeit und Newsletter für die Zielgruppe interessant sein. Reine Werbung ist selten interessant. Content ist besser!

#3 Auf Testkund:innen statt Umfragen setzen

Kundenumfragen sollten keinesfalls zeigen, dass man die Performance der eigenen Produkte samt ihrer Usabilitymängel nicht kennt. Stattdessen ist es klüger, fachlich externe Testkund:innen einzusetzen, die Produkte mit der Kundenbrille durchlaufen und ehrliches Feedback geben.

In „Die Kundenbrille“ geht Thilo Baum verkehrten Denkmustern in Unternehmen auf den Grund und hilft dabei, die Kundenperspektive leichter einzunehmen.